Zwei Wege führen in
das 45 km nordwestlich von Lissabon gelegene Städtchen Mafra.
Der eine verläuft
über Sintra nach Norden, der andere führt weiter östlich über Loures. Wählt man
die über Loures führende Straße, so sieht man gleich hinter der Stadtgrenze von
Lissabon Odivelas liegen – eine zu schnell gewachsene Satellitenstadt die
einmal für ihr Zisterzienserinnen-Kloster, den Mosteiro de São Dinis e de São Bernardo, berühmt war, das König Dinis,
dessen schwerer gotischer Steinsarkophag in der Apsis steht, um 1300 von dem
Baumeistergeschwisterpaar Antão und Afonso Martins errichten ließ.
Unter
einem späteren Nachfolger von König Dinis auf dem portugiesischen Thron, König João
V, war Odivelas und sein Kloster vor allem für köstliches Gebäck aus der
Klosterbäckerei bekannt. Aber es gab einen anderen, viel triftigeren Grund
warum Odivelas bei João V so beliebt war. Der Monarch hatte mit mehreren Nonnen
des Klosters lustvolle Verhältnisse.
Mit einer
dieser Nonnen, Madre Paula Teresa, hatte er sogar eine längerdauernde Beziehung.
Diese amouröse Beziehung zu Madre Paula führte dazu, dass diese dem König drei
Söhne schenkte. Einer dieser Söhne, Gaspar, wurde später einmal Erzbischof von
Braga und ein anderer, José, sogar Großinquisitor des Landes.
Das
Erdbeben von 1755 ließ von dem alten Kloster kaum etwas übrig, und so wurde er
im alten Stil wieder aufgebaut.
Dafür
glänzt, nur 30 km nordwestlich von Odivelas, ein anderes Kloster in einem
unscheinbaren Städtchen: der gigantische Klosterpalast von Mafra (port.:
Convento e Palácio de Mafra), der Kloster, Kirche und Palast in einem ist.
Nur ein
prunkliebender Barockfürst wie König João V konnte sich diese imposante Anlage
ausdenken, die als Konkurrenzunternehmen zum spanischen El Escorial von Philipp
II erbaut wurde und gleichzeitig ein steinernes Gelübde zum Dank für die Geburt
des Thronfolgers von João V ist.
Sicherlich,
königliche Gelübde schlugen in Portugal schon mal öfters in prächtige Kirchenbauten
zu Buche.
Manuel I
mit seinem Mosteiro dos Jerónimos (dt.: Hieronymuskloster) in Belém, den er zum
Dank für die Entdeckung des Seeweges nach Indien durch Vasco da Gama einst
bauen ließ, war das große Vorbild.
Es war
nun einmal in Portugal Gang und Gäbe, dass die Monarchen ihren privaten Handel
mit Gott machten, und Votivgaben als Versprechungen leisteten.
Und so
gelobten König João V und seine Gemahlin Königin Maria Anna von Österreich ein Kloster
zu Ehren des in Portugal sehr beliebten Heiligen Antonius (port.: Santo António)
zu bauen, wenn ihnen endlich ein Thronfolger geboren würde.
João V
und Maria Anna hatten im Oktober 1708 geheiratet und erst 1711 wurde ihnen ein
Kind geboren – allerdings ein Mädchen.
Erst 1714
wurde dem Paar endlich der ersehnte Thronfolger Infante José geboren und so
wurde, wie versprochen, Mafra gebaut!
Die
ehrgeizige Anlage für 300 Franziskanermönche und 150 Novizen stellte seinerzeit
ein Großprojekt dar, dem das Land zu Beginn des 18. Jahrhunderts kaum finanziell
gewachsen war und der das Königreich damals fast in den Staatsbankrott geführt
hätte.
Nur die
plötzlich aufkommenden riesigen Goldfunde in Brasilien konnten letztendlich das
Projekt wahr machen.
Zahlreiche
Ausländer mussten für die Vollendung des Bauwerks ins Land geholt werden.
Der
Entwurf stammt z.B. von dem Deutschen Johann Friedrich Ludwig, den man hier in
Portugal eher unter dem Namen João Frederico Ludovice kennt. In Portugal, wo er
sich seit etwa dem Jahr 1700 aufhielt, wurde er von Königin Maria Anna, einer
Habsburgerin, protegiert.
Für die
Bildhauerwerkstatt rief man den Italiener Alessandro Giusti ins Land – die
besten Skulpturen aus Carraramarmor aber bestellte der König gleich direkt in
Rom und Florenz.
Am 17.
November 1717 wurde der Grundstein für das Kloster gelegt. Um den Bau zu
beschleunigen, wurden 45.000 arbeitsfähige Männer aus dem ganzen Land zum
Dienst gezwungen. Sie mussten Tag und Nacht, praktisch unentgeltlich, arbeiten
um den Traum des Königs zu verwirklichen. Deshalb wurden 7.000 Soldaten an die
Baustelle abkommandiert um Aufpasser und Antreiber spielen.
Offiziellen
Berichten zufolge sollen angeblich „nur“ 1.400 Männer bei den Bauarbeiten
gestorben sein, obwohl andere Quellen von über 3.000 Toten Arbeitern während
der Bauphase sprechen.
Die
Kirche konnte bereits am 22. Oktober 1730, dem 41. Geburtstag von König João V,
eingeweiht werden. Die Arbeiten an der Gesamtanlage zogen sich jedoch noch bis
1750 hin.
Angesichts
der Ausdehnung und Maße des fertigen, fast quadratischen Komplexes stellt sich
beim heutigen Betrachter fast ein leichtes Schwindelgefühl ein:
Der
Klosterpalast von Mafra besitzt eine 220 m lange Fassade, eine unglaubliche
Fläche von 40.000 m², 4.500 Fenster und Türen, 9 Innenhöfe und 1.200 Zimmer und
Sälen deren Besichtigung in der Mehrzahl leider nicht möglich ist, da ein
großer Teil des Convento heute als Militärkaserne dient.
Die
Vorderfront ist rechts und links von riesigen Eckpavillons eingerahmt und wird
von der zentralen Kirchenfassade mit ihren zwei Türmen sowie von einer
Vierungskuppel beherrscht. Die mit Marmor ausgestattete Kirche wirkt Dank ihrer
klaren Linien harmonisch, aber kühl.
Marmor
ist zweifelsohne Mafras Baustein.
Sehenswert
ist auch die von Manuel Caetano de Sousa entworfene Bibliothek mit ihren 36.000
Bänden.
Die
Kulisse dieser Bibliothek ist einfach nur edel.
Sie ist
ganz aus rosafarbenem Marmor und exotischen Hölzern aus den königlichen
Kolonien. Eine doppelstöckige, 88 m lange Galerie mit Schränken voller
wertvoller Bücher, von denen viele Erstausgaben sind machen sie zu einer der
schönsten Bibliotheken Europas.
Zu den
Kostbarkeiten der Bibliothek zählen die älteste Homerausgabe in Griechisch,
mehrere Bibel aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die Stücke von Gil Vicente, des
ersten Dramaturgen Portugals, aus der Zeit Manuel I, und vor allem die
Erstausgabe der weltberühmten „Os Lusíadas“ von Luis Vaz de Camões.
Bedauerlich,
dass man hier nicht sitzen und blättern kann, denn die Bibliothek ist heute nur
fürs Auge gedacht. Wahrscheinlich saß auch nie ein Bragança-König hier, um in
seinen Schätzen zu schmökern.
Einfach
nur schade!
An die Bibliothek
grenzt der Botanische Garten des Klosterpalastes und an diesen schließt sich
das 819 Hektar große
ummauerte Waldgebiet Tapada de Mafra
an. Dieses Waldgebiet, in dem es auch heute noch Wildschweine, Rot- und
Damhirsche und noch anderes Jagdwild gibt, war einmal das königliche Jagdrevier
und wurde von allen Monarchen rege für ihre Jagdgesellschaften benutzt.
Mafra spielt eine wichtige und
positive Rolle in der portugiesischen Kunstgeschichte. Eine ganze Generation
portugiesischer Handwerker und Künstler wurden in der so genannten „Schule von
Mafra“ geschult und geprägt. Zu ihnen zählen, um nur zwei von vielen zu erwähnen, der
Bildhauer Joaquim Machado de Castro und der Architekt des Königpalastes von
Queluz Mateus Vicente de Oliveira.
Als im
Jahre 1807 die französischen Truppen Napoleons Portugal überfielen und die
Bragança nach Brasilien flohen, waren die Tage von Mafra als ständiger Wohnpalast
gezählt.
Als König
João VI 1822 wieder nach Portugal zurückkehrte, weigerte er sich den Palast
wieder regelmäßig zu bewohnen. Er zog die Paläste von Queluz und Sintra vor;
sie waren ihm weniger kalt und protzig.
Das
Kloster wurde im Jahre 1834 von den Mönchen aufgegeben.
Dafür
kamen 1840 die Militärs und blieben dort bis heute.
In einem
Teil des riesigen Komplexes des Klosterpalastes ist heute ein Infanterieregiment
untergebracht.
So
protzig und museal die königlichen Räume der Bragança auch waren, so
spartanisch und genügsam waren die Zellen der Mönche die hier Tür an Tür mit
dem König und seinem Gefolge lebten. Wie einfach die Mönche damals im Kloster
leben mussten, so ganz ohne Komfort, kann jeder heute bei einem Besuch des
Klosterkomplexes mit eigenen Augen sehen.
Erst wenn
man die Mönchszellen besucht hat, wird einem das Abgründige in König Joãos einst
gegebenes Gelübde deutlich:
Er baute
den Mönchen eine armselige Bleibe mit Totenschädeln an den Zellwänden, während
er sich selbst und den Seinen einen feudalen Palast errichten ließ, der trotz
aller Grenzenlosigkeit einfach nicht wohnlich genug war.
Und
selbst der letzte Monarch Portugals, König Manuel II, hat einmal gesagt, dass
er mit Mafra nur melancholische und schmerzhafte Erinnerungen verbinden würde.
Wer will
es ihm verdenken!
Hier in
diesem riesigen Palast verbrachte er seine letzte Nacht in Portugal, bevor er mit
seiner Mutter und Großmutter am 05. Oktober 1908 vom nahen Strand in Ericeira nach
England ins Exil fliehen musste.
Aus Mafra
muss man heute aber nicht mehr fliehen.
Im
Gegenteil, heute sollte man sich auf alle Fälle die Zeit nehmen und diesen
Abstecher in das Lissabonner Umland, nach Mafra, unbedingt gönnen, wenn man
einpaar Tage Urlaub in Lissabon plant.
Es lohnt
sich alle mal!