Donnerstag, 10. Dezember 2009
Der Rattenfänger von Hameln, einmal ganz harmonisch
Als Onkel und Patenonkel gehört es unter anderem zu meinen „Pflichten“ meinen Kücken aus Kinderbüchern vorzulesen, und da bevorzugter Weise aus Märchenbüchern.
Diese Woche habe ich in der alten ehrwürdigen Buchhandlung Bertrand eine portugiesische Ausgabe des Märchenbuchs der Gebrüder Grimm gekauft (port.: „Os contos dos irmãos Grimm“).
Denn, wenn meine Nichte und mein Neffe an Weihnachten zu besuch kommen, will ich, wenn eine Gute-Nacht-Geschichte von den Beiden von mir verlangt wird, dann auch vorbereitet sein.
Heute habe ich das eine oder andere Märchen aus dem Buch ansatzweise gelesen.
Und beim Rattenfänger von Hameln fiel mir auf, dass ich das Märchen anders in Erinnerung hatte, als ich es in dem gekauften Märchenbuch lesen konnte.
In der Original deutschen Ausgabe von Grimms Märchen ist nämlich zu lesen, das der Rattenfänger, nachdem er die Stadt Hameln von der Rattenplage befreit hatte und danach nicht wie versprochen ausbezahlt wurde, er die Kinder aus der Stadt entführte, und die Eltern diese nie wieder zu Gesicht bekamen.
Wörtlich heißt es bei der deutschen Ausgabe von Grimms Märchen am Ende (von mir gekürzt und sprachlich etwas modernisiert hier geschrieben):
„…nun erschien der Rattenfänger bei den Ratsherren, um seinen versprochenen Lohn abzuholen. Sie aber gaben ihm den Beutel mit dem Geld nicht, sondern schickten ihn einfach fort. Da ging der Rattenfänger am nächsten Tag noch einmal durch die Straßen der Stadt und spielte auf seiner Flöte eine wunderbar süße Melodie. Sogleich kamen alle Kinder aus den Häusern gelaufen und folgten dem Flötenspieler. Er ging mit ihnen zum Stadttor hinaus und verschwand, und keiner hat je erfahren, was aus den Kindern geworden ist…“
In der portugiesischen Version dieses Märchen, entführt der Rattenfänger ebenfalls die Kinder aus der Stadt, und (hier nun der große Unterschied zur Originalausgabe) er bringt diese aber wieder zurück, als die Bürger von Hameln ihn anflehen ihre Kinder wieder zurückzubringen und ihm versprechen ihn dann wirklich auszubezahlen.
In der portugiesischen Ausgabe lautet daher der Schluss des Märchens (zitiert aus dem Buch „Os contos dos irmãos Grimm“):
„...e o flautista levou as crianças longe, muito longe, tão longe que ninguém poderia supor onde. Os donos da cidade mandaram chamar novamente o flautista e prometeram-lhe mais uma vez que entregariam a recompensa, se ele trouxesse de volta as crianças da cidade aos seus pais.
O flautista tocou a sua flauta e as crianças, uma a uma, voltaram felizes para as casas das suas famílias.
E a cidade de Hamelin voltou a ser tranquila e feliz como antes e o
flautista, muito rico, ajudou muita gente durante toda a vida...”
Meine deutsche Übersetzung hierzu:
“...und der Rattenfänger nahm die Kinder und brachte sie weit weg, so weit weg das keiner wusste wohin. Entsetzt riefen die Herren der Stadt den Rattenfänger wieder zu sich und versprachen ihm, ihn diesmal bestimmt auszubezahlen, wenn er nur die Kinder zu ihren Eltern zurückbringen würde.
Daraufhin spielte der Rattenfänger auf seiner Flöte eine Melodie und einer nach dem anderen, kehrten die Kinder wieder nach Hameln zurück.
Daraufhin wurde Hameln wieder eine friedliche und glückliche Stadt wie ehedem und der Rattenfänger wurde ein reicher Mann, der noch vielen, vielen Menschen half…“
Als Portugiese bin ich mir durchaus bewusst, dass mein Volk sehr friedliebend, ja schon fast harmoniesüchtig ist.
Dass diese Sehnsucht nach Harmonie aber so weit gehen kann, dass sogar ein ganzes Märchen so umgeschrieben wird, das hinterher das Happy End auch garantiert ist, hat mich dann aber doch überrascht.
Sicherlich ist heutzutage dieses Ende vom Märchen des Rattenfängers von Hameln pädagogisch wertvoller, da harmloser und weniger brutal.
Aber ob dies im Sinne der Gebrüder Grimm und der Weltliteratur ist, das sei dahingestellt.
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