Donnerstag, 5. Mai 2011

Senhor Roubado


Als am frühen Morgen des 11. Mai des Jahres 1671 zwei Küster die Türen der kleinen Dorfkirche von Odivelas öffnen um den Gottesdienst vorzubereiten, finden sie die untrüglichen Zeichen eines Einbruchs und eines ungeheuerlichen Frevels vor.

In der Kirche finden sie die Heiligenfiguren „Unserer Jungfrau des Rosenkranzes“ (port.: „Nosssa Senhora do Rosario“) und „Unserer Jungfrau aus Ägypten“ (port.: „Nossa Senhora do Egípto“), die Figur des Jesuskindes (port.: „Menino Jesus“) sowie die Figuren anderer Heiliger splitterfasernackt und entkleidet bloßgestellt.

Nach dem Frevel kommt nun auch der Schock:
Außer das die Figuren nackt sind, müssen die erschrockenen Küster auch feststellen, dass einige Schmuckperlen aus dem Rosenkranz der einen entblößten Heiligen fehlt und ein riesiger Schmuckedelstein aus der Krone der anderen Heiligenfigur heraus gebrochen ist.
Außerdem fehlen einige Altardecken, das Heilige Grabtuch, zwei vergoldete Becher und die wertvolle Monstranz, in der immer die Hostien - das Laib Christi - für die nächste heilige Messe aufbewahrt werden.

Sofort macht das Gerücht vom „gestohlenen Laib Christi“, (port.: „Senhor Roubado“), den die Hostien in der christlichen Religion darstellen, die Runde.
Dieses ungeheuerliche Sakrileg und Diebstahl erschüttert das katholische Portugal der damaligen Zeit bis auf die Grundmauern.

Eine Sonderkommission der Polizei wird daraufhin gegründet und eine nächtliche Ausgangssperre über Odivelas verhängt. Alle Häuser, selbst das Rathaus und die der hohen Bürger werden bei mehreren Razzien durchsucht – allerdings ohne Erfolg!

Nach ein paar Tagen erreicht diese skurrile Kriminalgeschichte den königlichen Hof in Lissabon.
König Pedro II ist außer sich vor Wut!
Auf seine Veranlassung hin werden an jeder Kirche des Landes, an jedem öffentlichen Platz in Portugal, Steckbriefe ausgehängt auf denen für sachdienliche Hinweise zur Ergreifung des Täters des „Senhor Roubado“ die stolze Summe von zweitausend Cruzados ausgesetzt werden.
Außerdem werden verschiedene Prozessionen veranlasst und in allen Kirchen Fürbitten abgehalten.
Der König ordnet sogar an, dass für Hundert Tage am ganzen königlichen Hof schwarze Trauerkleidung getragen werden muss.
Doch alles Beten und büßen hilft nichts.
Die Suche nach dem „Senhor Roubado“ und den anderen gestohlenen Wertgegenständen bleibt erfolglos.

Vier Monate später, am 16. Oktober 1671, ereignet sich in Odivelas erneut ein Verbrechen, der den Ort aufschreckt:
Im altehrwürdigen Kloster von Odivelas (port.: Mosteiro de Odivelas) wird ein Dieb dabei erwischt, wie er auf frischer Tat den Schwestern sechs Suppenhühner stehlen will.
Die Küchenmagd kann den Dieb im Hühnerstall festhalten bis die Dorfpolizei eintrifft.

Der auf frischer Tat festgenommene Hühnerdieb ist der betrunkene António Ferreira, der im ganzen Ort als der Dorftrottel bekannt ist.
Die Polizei findet in einer seiner Taschen ein goldenes Kreuz das zu einer der Heiligenfiguren gehört, welche Monate zuvor in Odivelas gestohlen worden waren.
Nach einigen Verhören gesteht António Ferreira den Diebstahl in der Dorfkirche, im betrunkenen Zustand, begangen zu haben.
Auf einem Feld, unweit von Odivelas, wird unter den Wurzeln eines Baumes versteckt, die Mehrzahl der gestohlenen Gegenstände gefunden.
Die Hostien allerdings, so gibt der Dorftrottel freimütig zu, habe er vor lauter Hunger noch in derselben Nacht vernascht.
Die Monstranz, in der die Hostien aufbewahrt waren, bleibt aber verschwunden.
Der ganze Ort lacht, ja ganz Portugal lacht über diesen Dorftrottel, und eigentlich wäre der Fall nun aufgeklärt und somit zu den Akten zu legen.

Doch was nun folgt ist eine selbstherrliche, gnadenlose Demonstration der Inquisition, der in einen gnadenlosen, brutalen Prozess gegen António Ferreira endet.
Die Hysterie eines Teils des Großadels und der Fanatismus der Kirchenoberen führen dazu bei, das António Ferreira, ein armer Schlucker, die ganze Härte des Inquisitionstribunal zu spüren bekommt.
Ihm wird öffentlich der Prozess gemacht.
Unter der Folter wird er aufgefordert zu sagen wo die Monstranz ist, da diese unauffindbar ist.
Doch alles foltern nützt nichts, und der „Senhor Roubado“ bleibt verschollen.
António Ferreira wird gnadenlos durch die Inquisition zum Tode verurteilt!

Am 13. November 1671 wird der Verurteilte zur Urteilvollstreckung nach Lissabon gebracht.
Dort werden ihm am nächsten Tag öffentlich am Rossioplatz, bei lebendigem Leib, beide Hände vom Körper abgehackt.
Eine Würgeschlinge wird ihm angelegt, und er wird langsam und qualvoll erwürgt.
Als er tot ist, wird sein lebloser Körper auf einen Scheiterhaufen gelegt und verbrannt.
So endet, auf stupide Weise und durch eines der vielen Fehlurteile der Inquisition, das Leben des Dorftrottels António Ferreira.

Nur noch wenig erinnert heute in Odivelas an den traurigen Held dieser wahren Geschichte.
An der Stelle im Feld, an der die gestohlenen Kirchengegenstände wieder gefunden wurden, und wo António Ferreira behauptet die Hostien vor lauter Hunger verspeist zu haben, haben die Bürger von Odivelas, hundert Jahre nach dem Ereignis, ihm ein Denkmal gesetzt.
Seit 1774 kann dort, ein alleine durch Spendengeldern finanzierter „Senhor Raubado Denkmal“ (port.: Monumento ao Senhor Roubado), bewundert werden.
Auch der jeden Montag stattfindende Wochenmarkt in Odivelas trägt den Namen dieses traurigen Helden, nämlich „Feira do Senhor Roubado“ (dt.: „Senhor Roubado Markt“), genauso wie eine Metrostation ganz in der Nähe.

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