Samstag, 21. Januar 2012

Der Barbier von Lissabon






Heute Morgen war ich zum Haare schneiden.
Normalerweise gehe ich hierzu in einen kleinen Friseurladen, der bei mir um die Ecke liegt.
Doch immer wenn ich die Gelegenheit habe, lasse ich mir in Lissabon, in der „Barbearia Campos“, die Haare schneiden – so auch heute Morgen.

Eine „barbearia“ ist hier in Portugal eigentlich ein reines Herrenfriseur- und Rasiergeschäft.
Die „Barbearia Campos“, im Lissabonner Stadtteil Chiado gelegen, ist nicht irgendein Friseurladen in Lissabon, sondern man kann durchaus sagen, dass sie, was Tradition angeht, die Perle der Friseurkunst in der Hauptstadt ist.
Wer sich im „Campos“ die Haare schneiden lässt, lässt nicht nur eine Dienstleistung über sich ergehen, nein, er atmet hier auch Geschichte ein, während eine Schere seine Haare kürzt.
Dabei hätte dieses geschichtsträchtige Friseurgeschäft beinahe nach der ersten Generation seine Türen schließen müssen.

Die „Barbearia Campos“ wurde im Jahre 1888, also vor genau 124 Jahren, von dem Friseurmeister José Augusto de Campos, gegründet.
Alle die es sich damals leisten konnten, vom einfachen Handwerker und Beamten bis hin zum reichen Geschäftsmann und Aristokraten, gingen bei José de Campos ein und aus.
Das Geschäft lief von Anfang an recht gut, und schnell wurde Campos zum beliebtesten Barbier der Stadt.

Doch zu seinem Leidwesen hatte José de Campos keinen Sohn, der eines Tages sein Geschäft hätte übernehmen können, sondern seine Frau schenkte ihm „nur“ zwei Töchter.
Das weder die eine noch die andere das Friseurgeschäft jemals hätte beruflich übernehmen können war damals von vornherein klar.
Daher war es eine glückliche Fügung, dass seine Tochter Marta sich in den Friseurmeister Artur Ribeiro dos Santos verliebte und diesen später auch heiratete.

Marta dos Campos und Artur dos Santos, die zweite Generation im Friseurgeschäft, bekamen später selbst nur Töchter.
Und so war es dann auch in der dritten Generation und ist es auch heute in der vierten Generation.
Das Geschäft wird zwar weiterhin von der Familie De Campos geführt, doch die Friseure und Barbiere die dort beschäftigt sind, sind alle angestellt.
Und es sieht so aus, als ob sich auch in der fünften Generation nichts daran ändern würde, denn auch die aktuelle Besitzerin des Geschäfts, Ana Maria Lopes de Campos, hat bis jetzt keine männlichen Nachfolger hervorgebracht.

Betritt man die „Barbearia Campos“, ist man sofort von der antiquarischen Inneneinrichtung und den einzelnen alten Utensilien überwältigt.
Die antiken und handgefertigten Möbel, die fünf verchromten Frisierstühle, die vielen Gläser und Töpfe voller Pomaden, Elixiere und Lotionen, die riesigen Spiegel und der Tresen voller verschiedener Kämme, Bürsten, Scheren, Rasierpinsel und Schaumschüsselchen verleihen der ganzen Barbierstube ein einzigartiges Flair.

Ein Highlight der Inneneinrichtung ist der große, braune Schrank an der hintersten Wand. Er beherbergt mehrere kleine Kästen aus Metal. In ihnen wurden früher die Frisierutensilien der einzelnen Kunden aufbewahrt, so das jeder Kunde seinen eigenen Kamm, Schere oder Rasierpinsel bei jedem Besuch benutzen konnte, ohne das er diese Utensilien aus hygienischen Gründen mit anderen Kunden hätten teilen müssen.
Der einzige Kunde der heute noch seine persönlichen Utensilien hier aufbewahrt, ist Pedro Castro e Silva, der Besitzer der nahe gelegenen berühmten Buchhandlung „Livraria Bertrand“.
Er kommt jede Woche hierher um sich hier die Haare nachzuschneiden.

Oftmals wird die „Barbearia Campos“ von Touristen aufgesucht.
Ich habe es selbst schon zwei Mal miterlebt, wie Touristen den Laden betreten haben und eigentlich nur ein paar Fotos machen wollten.
Da sich aber die meisten Herren dann schämen die Kameras rauszuholen und einfach ein paar Bilder zu schießen, entscheiden sie sich dann spontan zu einem Haarschnitt, während dann ihre Freundinnen oder Ehefrauen den Fotografen spielen.

Frauen spielten überhaupt seit jeher eine wichtige Rolle in diesem Friseurladen, der wie alle „barbearias“, eigentlich eine reine Männerwelt ist.
Abgesehen davon das seit drei Generationen der Laden fest in leitenden Frauenhänden ist und das heute, wie gesagt oftmals die Touristinnen ihren Männern als Fotografinnen dienen, hat die „Barbearia Campos“ auch immer Frauen als Kunden gehabt.

Heute ist es zwar immer noch außergewöhnlich das Frauen, mit Kurzharrfrisuren, sich hier ihre Haare nachschneiden lassen, aber früher war es eigentlich undenkbar das eine Frau oder Dame ein Barbiergeschäft wie das „Campos“ aufsuchte.
Es schickte und ziemte sich einfach nicht.

Nichtsdestotrotz waren hier über die Jahrzehnte hinweg viele Frauen Kunden.
Vor allem die Schauspielerinnen und Sängerinnen des nahen Teatro de São Carlos, der Oper, ließen sich hier früher, versteckt in einem hinteren Raum, welches heute das Büro ist, die Haare frisieren und ihre kunstvollen Perücken, die sie für ihre Auftritte brauchten, richten.

Die „Barbearia Campos“, im Largo do Chiado n° 4, ist zweifelsohne ein Ort mit Flair, voller Geschichte und Geschichten.
Aber vor allem ist es, und das kann ich sehr wohl aus eigener Erfahrung berichten, ein Ort wo man als Mann für 15 Euro einen exzellenten Haarschnitt verpasst bekommt.

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