Donnerstag, 21. Januar 2010

„Es war das Ende der Welt...“


„Gegen zehn Uhr morgens spürte ich ein leichtes Zittern, begleitet von einem Rumoren, wie von zehn zu schnell gefahrenen Karren, die in der Gasse näher kommen. (...)
Das Zittern wurde stärker, ich konnte mich kaum auf den Beinen halten, das Haus schien sich zu drehen, ich sah Risse in den Wänden, die tiefer und tiefer wurden. Verriegelte Türen sprangen aus den Angeln, ich hörte draußen Menschen schreien (...)
Ich hörte wie alle das Haus verließen. Ich zog mir eilig eine Jacke über. Während ich herunter gefallene Bücher aufhob, begann das Zittern und Rumoren erneut, diesmal um einiges stärker.
Ich ließ von meinem Vorhaben ab, griff nach meinem Hut und lief hinaus. Ich hatte viel Glück, denn das Haus hätte mich begraben können. Jetzt erst sah ich nämlich, wie sich unser Haus vor und zurück beugte, wie ein Schiffsmast im Sturm. Es war gespenstig (...)
Später sah ich, dass in der ganzen bemitleidenswerten Nachbarschaft keiner außer mir etwas Anständiges am Leibe trug (…).“

„Das Volk war durchdrungen von dem Gedanken, dies sei der Jüngste Tag. So taten sie in den Momenten zwischen den Erdstößen Frommes. Sie beteten und bekreuzigten sich mitten auf den Straßen. Männer wie Frauen murmelten Litaneien und riefen schreiend die Toten an. Bei jedem neuen Erdstoß sanken sie auf die Knie und flehten um Gnade (...).“

„Jetzt erst, wo ich umherirrte merkte ich, dass mein Bein verletzt war und ich aus den Augen blutete. Ich ging zurück in den Hof, wo meine Brüder waren. Gott sei Dank, sie lebten (…)! Andere liefen zum Fluss, ein Schiff zu erreichen. Sie wollten fort, fort aus dieser toten Stadt, doch dort sollte sie bald ein noch schlimmeres Schicksal treffen, denn das Meer kam in riesigen Wellen in die Stadt. Es war das Ende der Welt (…).“



Dies ist nicht etwa der Bericht eines Überlebenden des schrecklichen Erdbebens von Haiti, vom 12. Januar dieses Jahres.
Nein, es ist der Auszug aus einem Brief des englischen Kaufmanns und Handelsgesandten Thomas Chase, der im heutigen Stadtteil Lapa lebte, und der über das große Erdbeben vom 01. November 1755, hier in Lissabon berichtet.
Er schrieb diese Zeilen an seinen Bruder, der in London weilte, am 13. November 1755.

Aber auch wenn diese Zeilen schon über 254 Jahre alt sind, so sind sie so doch so erschreckend aktuell, als ob sie wirklich erst heute geschrieben worden wären.

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