Dienstag, 18. August 2009

Friedhof der Freuden


Wohl kein anderes Gräberfeld in Portugal setzt Empfindungen und den Tod so intensiv in Szene wie der Lissabonner Friedhof Prazeres (Cemitério dos Prazeres), im Westen der Stadt.

Eine Heilige, „Nossa Senhora dos Prazeres“ (Unsere Jungfrau der Freuden), lieh dem Ort, der alten Quinta dos Prazeres, den Namen schon bevor es hier einen Friedhof gab.

Im Gegensatz zu Portugals sonst so vegetationsarmen und recht trockenen Friedhöfen hat hier das Grün ewiges Leben in Sträuchern, Blumen und Pinienalleen und Laubbäumen erlangt.

Als der Friedhof im Jahre 1833 angelegt wurde, herrschte in der Hauptstadt große Not und das blanke Entsetzen: Eine Cholera-Epidemie (Cólera morbus) forderte damals Tausende Opfer.
Die Überlebenden wollten die Toten aus sanitären Gründen weit weg vom bewohnten Raum wissen, und so entstand der Friedhof vor den Mauern der Stadt, auf dem Territorium der schon erwähnten Quinta dos Prazeres.
Die Cholera-Epidemie von 1833 hatte auch zur Folge das grundsätzlich neue Beerdigungsvorschriften festgelegt wurden: Seither dürfen z.B. Tote nicht mehr „in Kirchen, Klöstern, Kapellen oder anderen religiösen Räumen beerdigt werden“.

Im Umland des Friedhofes residierten bald der Adel, der Geldadel und die Künstler. Alle begruben sie ihre Toten auf Prazeres und begründeten die einzigartige Friedhofsarchitektur mit prunkvollen, trutzigen oder verspielten Grüften.
Genau 7.121 gibt es, fast so viele, wie das gleichnamige Stadtviertel Einwohner hat.

Die Nekropole Prazeres ist ein verkleinertes Abbild der Metropole Lissabon, mit Häusern, Straßen, Kirchen, Palästen und Armenquartieren, denen auf dem Friedhof die Urnenwände entsprechen.
Wer genug Geld besaß, baute nicht nur in der Stadt eine extravagante „vivenda“ (Villa): Die Lebens- und Wohnkultur der Lissabonner Oberschicht begleitet die Toten bis in ihr letztes Haus, das auch auf dem Friedhof Fenster und Gardinen haben kann.

Das ausgefallenste Zeugnis von Friedhofsarchitektur ist wohl die Familiengruft (jazigo) der Herzöge von Palmela, die 1849 Herzog Pedro de Sousa Holstein, Duque de Palmela, erbauen ließ.
Diese Familiengruft ist das größte private Grab Europas! Zweihundert Mitglieder der Adelsfamilie Palmela ruhen hier im Schatten immergrüner Bäume in einer gigantischen, von Bildhauern geschaffenen Pyramide mit eigener Kapelle und einem Säulenportal aus Elvasmarmor.

An einer anderer Stelle des Friedhofs liegt Aniceto Rocha, Professor an der Militär-Akademie. Er entwarf seinen steinernen Würfel selbst, der – oben Grabstein, unten Sarg – vertikal tief in die Erde reicht.
Getreu seinem Motto „Ein General stirbt im Stehen“ ist er auch so begraben.

Sebastião de Magalhães Lima, der Begründer der Zeitung “O Século”, nutzte sein populäres Blatt für ein ganz persönliches Anliegen: Papst Leo III. hatte 1886 die Feuerbestattung als „barbarische Sitte und Verletzung der natürlichen Pietät“ untersagt und Lima wollte seine katholischen Landsleute vom Gegenteil überzeugen – mit wenig Erfolg!
Als er 1928 verstarb, ignorierten seine Angehörigen seinen letzten Wunsch nach Kremierung und beerdigten ihn auf dem Friedhof Prazeres in einen normalen Sarg.

Prazeres ist nicht nur ein Friedhof für Normalsterbliche, sondern er ist auch Lissabons Prominentenfriedhof.
Hier finden sich Gräber von Adeligen, Schauspielern, Musiker, Priester, Sänger, Maler, Dichter, Politiker und Handwerker und sogar eine Abteilung der städtischen Feuerwehr.
Hier spiegelt sich die Lissabonner Sozialgeschichte:
Familienwappen illustrieren die portugiesische Heraldik, Grabsteinarchitektur zeugt von Moden und Vorlieben mit neo-manuelinischem und gotischem Einschlag, Rückgriffe auf
Obelisken und römische Säulen.
Hier gibt es Miniaturen von Kirchen und Kapellen oder gar des eigenen Hauses.
Statuen repräsentieren das Werk berühmter portugiesischer Bildhauer.
Symbole der Berufe schmücken Grüfte, deren Tote für ihre Profession bekannt waren.
Der Herausgeber der Tageszeitung Diário de Notícias z.B. ruht unter einer steinernen Druckpresse.

Bei einem Gang über den Friedhof kann man Dutzende steinerner Symbole von Tod und Unsterblichkeit ausmachen: Artischockenblüten und Bienen als Zeichen der Auferstehung, Hunde als Hüter der Unterwelt oder Sinnbild der Treue und Engel in allen Größen und Formen, Anker für die Stabilität des Seins, Sanduhren, durch die die Zeit rinnt, Flügel für die Freiheit des Geistes, das Schaf für alle Opfer, das Buch des Lebens und die Zeichen des Alpha und Omega – der Anfang und das Ende.

Heutzutage ist Prazeres nicht nur einfach ein Friedhof. Nein, er ist viel mehr. Er ist so etwas wie ein Museum unter freiem Himmel, welches Jahr für Jahr von Tausenden Touristen aus aller Welt besucht wird.

Ins deutsche übersetzt, heißt der Friedhof Prazeres übrigens „Friedhof der Freuden“.

Kann es einen originelleren Namen für einen Friedhof geben?

2 Kommentare:

  1. Ich bin beeindruckt von diesem und eigentlich von all Deinen Beiträgen. Großes Kompliment!
    Gruß, Reinhard

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  2. Irgendwann fing ich an in Berlin Engel zu fotografieren. Gestern war ich auf dem Friedhof der Freuden wegen der Engel. Eine interessante Ausstellung gibt es derzeit dort über die Beerdigungskultur Lissabons.

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