Donnerstag, 25. April 2013

Die Toten der Nelkenrevolution


Heute vor genau 39 Jahren, am 25. April 1974, um kurz nach Mitternacht, spielte der katholische Radiosender Radio Renascença das von der damaligen Diktatur verbotene Protestlied „Grândola, Vila Morena“ (lesen sie hierzu auch bitte meinen Blogeintrag „Grândola, Vila Morena“), vom 26. April 2010), des antifaschistischen Sängers José Afonso.

Das abspielen dieses Liedes war für die revolutionären Offiziere im ganzen Land das vereinbarte Zeichen, ihre Streitkräfte für den Aufstand zu mobilisieren.
Einen Aufstand der dann später als „Nelkenrevolution“ (port.: „Revolução dos Cravos“) in die Geschichtsbücher einging.
Nach noch nicht einmal 18 Stunden stürzte damals eine so genannte „Bewegung der Streitkräfte“ (port.: „Movimento das Forças Armadas“) die älteste Diktatur Westeuropas!

In vielen nationalen und internationalen Zeitungen, Zeitschriften und Büchern die über die Geschehnisse dieses 25. April 1974 damals erschienen und auch noch heute publiziert werden, wird oftmals berichtet, die „Nelkenrevolution“ sei eine friedliche und unblutige Erhebung des portugiesischen Volkes gegen die autoritäre und faschistische Diktatur die damals in Portugal herrschte, gewesen.

Sicherlich, die „Nelkenrevolution“ verlief, im Vergleich zu vielen anderen Revolutionen die überall auf der Welt vor ihr und nach ihr stattgefunden haben, recht friedlich.
Aber unblutig war sie leider nicht, denn an diesem 25. April kamen fünf unbewaffnete und friedliche Demonstranten in Lissabon durch die Gewehrkugeln regimetreuer Geheimpolizisten ums Leben.

Der damalige Machthaber, Diktator Marcelo Caetano, hatte sich an diesem Tag, auf der Flucht vor den revoltierenden Truppen, in das Hauptquartier der Republikanischen Nationalgarde (port.: Guarda Nacional Republicana), am Largo do Carmo, Mitten in Lissabon, verbarrikadiert.
Als bekannt wurde, dass der Diktator sich dort aufhielt, kamen viele Demonstranten auf dem Platz vor der Kaserne zusammen und verlangten seine Auslieferung.
Da aus der Carmokaserne (port.: Quartel do Carmo) keine Reaktion kam, schoss gegen 15.30 Uhr ein ungeduldiger Soldat der „Bewegung der Streitkräfte“, aufgestachelt durch die Demonstranten, eine Gewehrsalve mit seinem Maschinengewehr in Richtung des Gebäudes, ohne allerdings jemanden zu verletzen oder gar zu töten.

Eine knappe Dreiviertel Stunde nach dieser versuchten Machtdemonstration durch die „Bewegung der Streitkräfte“, um 16.15 Uhr, wurde, ebenfalls mit Maschinengewehren, aus einem Fenster der Carmokaserne auf die demonstrierende Menschenmenge geschossen.
Mehrere Menschen wurden bei diesem Schusswechsel verletzt und einer von ihnen, der 32jährige Lissabonner Arbeiter António Lage, wurde so schwer getroffen, das er noch an Ort und Stelle seinen Verletzungen erlag.
Der erste Tote der Nelkenrevolution hatte sein Leben für die Freiheit gelassen!

Wenn die Nationalgarde gedacht hatte, die Demonstranten würden jetzt weichen und aus Angst den Platz räumen, dann wurden sie eines Besseren belehrt, denn genau das Gegenteil traf ein!
Immer mehr Demonstranten und revoltierende Soldaten trafen im Largo do Carmo ein, und forderten in Sprechchören Diktator Marcelo Caetano zur Aufgabe auf und verlangten er möge sich ergaben.

Die Situation wurde immer explosiver!
In der Zwischenzeit hatten sich schon hunderte Menschen auf dem kleinen Platz und den Seitenstraßen versammelt und die Situation heizte sich immer mehr auf.
Gegen 21 Uhr, also knapp fünf Stunden nach dem ersten Zwischenfall, wurde aus dem Hauptgebäude der politischen Geheimpolizei „Polícia International e de Defesa do Estado“ (dt.: Internationale Staatsschutzpolizei), kurz PIDE genannt, das in der Rua António Maria Cardoso, unweit des Carmoplatzes, lag, wieder auf die Menschenmenge geschossen.
Insgesamt 49 Menschen wurden durch Schüsse getroffen, vier von ihnen so schwer, dass sie später ihren Verletzungen erlagen.

Diese vier toten Demonstranten waren, damit sie niemals vergessen werden:

- der erst 18jährige Büroangestellte Fernando Carvalho Gesteiro, aus der nordportugiesischen Stadt Montalegre, in Trás-os-Montes

- der aus Vendas Novas, im Alentejo, stammende 37jährige verheiratete José James Barnetto

- der Lissabonner Fernando Barreiros dos Reis, ein 24jähriger Soldat, der sich aber an diesem Tag nicht im Dienst befand

- der 20jährige Student José Guilherme Rego Arruda, der aus der Azoreninsel São Miguel stammt

Nach diesem blutigen Zwischenfall drohte die „Bewegung der Streitkräfte“ die Kaserne der Republikanischen Nationalgarde zu stürmen und den Diktator und seine Männer gewaltsam zur Aufgabe zu zwingen.
Doch bevor dies geschah, ergab sich Marcelo Caetano seinem Schicksal und ließ sich von den Soldaten der Befreiungsarmee festnehmen.

Den vier Männern, die am Abend beim zweiten Schusswechsel ums Leben gekommen waren, wurde am darauf folgenden Tag auf besondere Weise gedacht.
Unter dem Straßenschild der Rua António Maria Cardoso, am Gebäude der Geheimpolizei, brachten Demonstranten damals spontan ein zweites Schild an, auf dem man „Avenida dos Mortos pela PIDE“ (dt.: „Allee der Toten der PIDE“) lesen konnte.
Dieses Schild wurde später durch eine Gedenktafel ersetzt, die dort heute noch hängt.

Warum das erste Opfer der Nelkenrevolution, der Arbeiter António Lage, der damals beim ersten Schusswechsel ums Leben gekommen war, nicht namentlich auf besagter Gedenktafel erwähnt wird, ist nicht etwa als eine Geringschätzung seines Lebens zu verstehen, sondern schlicht und einfach ein Versäumnis der Stifter der Gedenktafel.
Sie haben ihn einfach vergessen!

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