Sonntag, 9. November 2014

Antonia Rodrigues, die Heldin von Mazagão


Als die Französin Jeanne dArc, auch bekannt als „die Jungfrau von Orleans“ (port.: „a donzela de Orléans“), sich Anfang des 15. Jahrhunderts daran machte gegen die Engländer im Hundertjährigen Krieg zu ziehen, schrieb sie Weltgeschichte.
Knapp 150 Jahre nach ihren heroischen Taten auf dem Schlachtfeld, machte sich eine Portugiesin daran es der Französin gleich zu tun.
Ihr Name war Antonia Rodrigues.

Vieles aus dem Leben von Antonia Rodrigues ist heute ein Rätsel, so z.B. ihr genaues Geburtsdatum, viele ihrer Abenteuer, die letzten Jahre ihres Lebens oder das Datum und den Ort ihres Todes.
Und selbst das wenige was wir heute über sie wissen, basiert fast ausschließlich auf mündliche Überlieferungen, die oftmals voller Phantasie sind und somit, obwohl viele Begebenheiten, Personen und Orte sehr wohl der Realität entsprechen, die Wirklichkeit bei weitem übersteigen.

Geboren wurde Antonia Rodrigues in sehr ärmlichen Verhältnissen in der portugiesischen Hafenstadt Aveiro um das Jahr 1580 herum – das genaue Geburtsdatum ist leider nicht überliefert.
Ihr Vater war der Seemann Simão Rodrigues und ihre Mutter hieß Leonor Dias.
Simão Rodrigues gehörte allem Anschein nach damals zu den Männern, die sich Mitte des 16. Jahrhunderts vor Neufundland (port.: Terra Nova) dem fischen von Stockfisch (port.: bacalhau) widmeten.
Aveiro hatte zu dieser Zeit eine große Flotte von Schiffen die sich in den Gewässern der neu entdeckten Welt dem Fang des Stockfisches hingaben. Luftkonservierter Stockfisch diente damals der massenhaften Versorgung der Schiffsmannschaften und der Soldatenheere. Letztendlich war dieser trockene Fisch mitverantwortlich für die erfolgreichen Entdeckungsfahrten der Portugiesen.
Die Mutter von Antonia Rodrigues, Leonor Dias, kümmerte sich um den Haushalt und um die große Kinderschar.

Als Antonia zehn Jahre alt war schickte sie ihr Vater zu einer älteren Schwester von ihr nach Lissabon. Durch die harte Arbeit auf hoher See war er mit den Jahren krank geworden und so nicht mehr in der Lage seine kinderreiche Familie zu ernähren.
Der Name dieser Schwester ist leider nicht überliefert. Man weiß aber, dass diese verheiratet war und das sie wohl in besseren Verhältnissen lebte als ihre Familie in Aveiro.
Das Verhältnis von Antonia zu ihrer Schwester scheint von Anfang an nicht das Beste gewesen zu sein, denn besagte Schwester beschwerte sich oftmals, dass Antonia sich weigere die anfallenden hausfraulichen Tätigkeiten zu erledigen.
Durch ihre eigensinnige und freiheitsliebende, ja fast revolutionäre Art wurde das zusammenleben mit ihrer Schwester und ihrem Schwager mit der Zeit praktisch unmöglich. In einer Zeit, in der Männer sich den Frauen überlegen fühlten, kam sie vor allem mit ihrem Schwager sehr oft in Konflikt, was zur Folge hatte das sie immer öfters von zuhause weglief.

So kam es das Antonia im zarten Alter von 12 Jahren, so um das Jahr 1592 herum, beschloss ihr eigenes Leben zu Leben.
Sie besorgte sich Männerkleidung, schnitt sich die Haare kurz und heuerte im Hafen von Lissabon auf einem Schiff, das Weizen nach Marokko bringen sollte, an.
Antonia stellte sich beim Kapitän des Schiffes als Antonio Rodrigues vor und dieser nahm Antonia/o als Schiffsjungen auf seiner Karavelle auf.
Alsbald verließen sie Lissabon in Richtung Marokko (port.: Marrocos).

Ihr Ziel war die Stadt Mazagão (arab.: El Jadida) an der marokkanischen Atlantikküste. Mazagão stand damals unter portugiesischem Einfluss, denn die Portugiesen hatten hier im Jahre 1502 eine mächtige und wehrhafte Festungsanlage errichtet und die Enklave dann zur Hauptniederlassung Portugals in Marokko erklärt.
Obwohl der Kapitän offenbar mit seinem neuen Schiffsjungen zufrieden war, jedenfalls wird nichts Negatives darüber berichtet, beschloss Antonio recht schnell nach seiner Ankunft in Mazagão im exotischen Marokko zu bleiben.
So kam es, dass die Karavelle die Rückreise nach Portugal antrat und Antonio Rodrigues anscheinend aus purer Abenteuerlust in Afrika zurückblieb.

Der Überlieferung nach soll sich Antonio dann persönlich an Diogo Lopes de Carvalho, dem Militärgouverneur von Mazagão gewandt haben und diesen nach einer freien Stelle in seinem Heer als einfachen Soldat gefragt haben. Der Gouverneur nahm diesen freiwilligen Dienst gerne an, und Antonio lernte fortan mit dem Schwert und der Lanze umzugehen.
Es heißt der Gouverneur wäre damals sehr von der angenehmen und eleganten Person des jungen Soldaten aus Aveiro angetan gewesen, natürlich ohne zu wissen, das sich hinter Antonio eigentlich Antonia verbarg.

Im Jahre 1592 überfielen die Mauren mehrere Male Mazagão, konnten die Festung aber nicht einnehmen.
Antonio Rodrigues, der schnell das Kriegshandwerk gelernt hatte, kämpfte bei diesen Überfällen, so ist überliefert, stets an vorderster Front und verteidigte die Festung immer mit großem Mut.

Eines Tages erfuhren die Portugiesen durch einen Spion, dass die arabischen Mauren die Getreidefelder vor der Stadt zerstören wollten, um dann die portugiesischen Besatzer in ihrer Festung auszuhungern und so zu vernichten.
Der Geschichte nach, soll Antonio damals den Militärgouverneur darum gebeten haben die für die Portugiesen so wichtigen Getreidefelder mit einpaar Mann zu verteidigen.
Der Gouverneur, der über den Mut Antonios sehr erfreut war, gab ihm drei Dutzend Männer mit und stellte die Soldaten unter Antonios Kommando.
Als die in Überzahl eigentlich viel mächtigeren Mauren es am wenigsten erwarteten, überfielen sie die portugiesischen Soldaten. Angesichts des Überraschungseffektes, der von Antonio gut organisierten Führung und des heldenhaften Mutes der Truppe, konnten die Portugiesen die Mauren in die Flucht schlagen.
Von diesem Tag an nannten alle Antonio voller Ehrfurcht den „Schrecken der Mauren“ (port.: „terror dos mouros“!
Antonio kehrte in die Festung als Sieger zurück und wurde von der Bevölkerung feierlich empfangen. Als Dank beförderte ihn Diogo Lopes de Carvalho zum Offizier und stellte die Kavallerie Mazagãos unter sein Kommando.

Antonio war nun ein Held und nicht nur bei seinen Kameraden und seinen Vorgesetzten sehr beliebt und respektiert. Auch die Damenwelt fing an sich immer stärker für ihn zu interessieren.
Er selber, so scheint es, ließ sich von den Damen gerne anschmachten, denn das erleichterte ihm anscheinend sein Versteckspiel.
Fünf Jahre konnte er so sein Doppelleben ziemlich problemlos führen.

Er spielte aber so lange mit dem Feuer, bis ein Damenherz sich wirklich unsterblich in ihn verliebte. Dieses Herz gehörte der jungen Adligen Beatriz de Meneses, Tochter von Diogo de Mendonça, einem der einflussreichsten Männern von Mazagão.
Da die Liebe von Antonio Rodrigues aber nicht erwidert wurde, und Beatriz de Meneses aus Liebeskummer schwer erkrankte, sah sich ihr Vater Diogo gezwungen Antonio um die Heirat mit seiner geliebten Tochter zu bitten.
Antonio konnte und wollte natürlich, aus verständlichen Gründen, einer Ehe mit Beatriz nicht zustimmen.

So sah sich D. Diogo gezwungen den Militärgouverneur, den obersten Dienstherren von Antonio, darum zu bitten er möge seinem Soldaten Antonio die Heirat mit Beatriz befehlen.
Da Diogo de Mendonça sehr einflussreich war und er beste Beziehungen zum Hof in Lissabon hatte, konnte er den Gouverneur von dieser „Zwangsheirat“ überzeugen.
Der Gouverneur ließ daraufhin Antonio zu sich kommen und in Anwesenheit von Beatriz, ihrem Vater und dem Vikar der Festung, der vorsorglich einbestellt worden war, befahl er seinem Offizier die Adelstochter zu ehelichen.

Angesichts seiner auswegslosen Situation, gestand der „Schrecken der Mauren“ seinem Dienstherren, das er nicht Antonio war, sondern eigentlich Antonia.
Unter Tränen beichtete er dem Militärgouverneur sein vertauschtes Leben und bat ihn um Vergebung.
Der Gouverneur war bereit Antonia zu verzeihen, verlangte von ihr aber, dass sie sich fortan nur noch in Frauenkleidern zeigen dürfe, „wie es sich für ihr Geschlecht zieme“.
Auch ihre Freunde und Soldatenkollegen waren anscheinend bereit Antonia ihr Doppelleben zu verziehen, jedenfalls soll sie nach der Bekanntgabe ihres Geheimnisses noch einige Zeit in Mazagão gelebt haben.
Lediglich Beatriz de Meneses und die anderen Frauen, die sich über die Jahre hinweg Hoffnung auf ein Leben mit Antonio gemacht hatten, waren wohl alles andere als begeistert und verständnisvoll. 

Da Antonia intelligent, schön und sehr beliebt war, fingen nach Bekanntgabe ihrer wahren Identität nun die Männer an Antonia den Hof zu machen.
Sie verliebte sich in einen Soldatenkollegen, dessen Namen nicht übermittelt ist, und ehelichte diesen dann später in der Kirche Igreja de Nossa Senhora da Assunção in Mazagão.
Das Ehepaar blieb in Mazagão bis schätzungsweise um das Jahr 1615 herum.
Als Antonia 35 Jahre alt war, kehrte sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn, den sie in der Zwischenzeit geboren hatte, nach Lissabon zurück.

Als König Felipe III von Spanien, der als Filipe II gleichzeitig auch König von Portugal war,  im Jahr 1619 Lissabon besuchte, wollte er unbedingt die Frau kennen lernen, um die sich schon damals so viele Legenden rankten.
Felipe II soll von Antonias Präsenz sehr angetan gewesen sein und so zeichnete er sie, für ihre geleisteten militärischen Dienste in Afrika, mit verschiedenen Ehrungen aus und gewährte Ihr und ihrer Familie zahlreiche Privilegien.
Nach 1620 ist nichts mehr über Antonia Rodrigues, der Heldin von Mazagão, bekannt.
Man vermutet, dass Antonia in Gesellschaft ihres Sohnes nach Spanien, wahrscheinlich Madrid, gezogen ist. Wo sie letztendlich starb und wann sie von dieser Welt ging, ist ebenso ein Mysterium, wie so viele Ereignisse im Leben dieser Frau.

Man könnte heute glauben, dass Frauen unter Waffen im Mittelalter etwas ganz seltenes und ungewöhnliches waren. Tatsache ist aber, dass es sehr wohl weibliche Soldaten gegeben hat. Hier in Portugal vielleicht weniger als z.B. in Italien, in Frankreich oder den Niederlanden, aber es hat sie gegeben.
Antonia Rodrigues aus Aveiro hat tatsächlich gelebt, sie war eine reale Person, keine fiktive Erfindung der Geschichte!
Nichtsdestotrotz sind ihr Leben und ihre militärische Karriere heute geheimnisvoll.
So geheimnisvoll, das Antonia Rodrigues mit den Jahrhunderten eine Legende wurde.

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