In seinem Blog www.joaotordo.blogs.sapo.pt hat
der portugiesische Schriftsteller João Tordo heute einen Brief veröffentlicht,
welches er über seinen Vater, den Liedermacher und Sänger Fernando Tordo
geschrieben hat.
In diesem offenen
Brief an seinen Vater Fernando, der gestern im Alter von 65 Jahren nach
Brasilien ausgewandert ist weil er als Künstler hier in Portugal keine
Möglichkeit mehr sah um zu überleben, schreibt João Tordo in sehr bewegenden
Worten über den Entschluss seines Vaters auszuwandern und seinen Abschied von
Portugal.
Dieser Brief hat mich
persönlich sehr bewegt, weil er mit sehr einfachen Worten das Leid und den
Schmerz beschreibt, welches viele Menschen in den letzten Monaten und Jahren
hier in Portugal mitmachen müssen.
Anbei eine
Übersetzung des Briefes von Tordo Junior an seinen Vater Fernando. Leider war
mir eine wortwörtliche Übersetzung des Textes nicht möglich, da viele Ausdrücke
ins Deutsche einfach nicht zu übersetzen wären.
Ich habe aber den
Inhalt des Briefes sehr wohl sinngemäß übersetzen können.
Brief von João Tordo
an seinen Vater Fernando Tordo:
Gestern ging mein
Vater fort. Er ist gegangen um nicht wiederzukommen; er ist nach Recife
ausgewandert und hat das Land verlassen wo er geboren wurde und wo er 65 Jahre lang lebte.
Er bezog hier eine
staatliche Rente von etwas mehr als 200 Euro, und zuzüglich noch eine kleine
Rente von der portugiesischen Autorengesellschaft. Beide mickrigen Renten
ermöglichten es ihm das Auto zu unterhalten, mit dem er in Lissabon und im
ganzen Land unterwegs war um Konzerte zu geben.
Er spielte vor vollen
Konzertsälen, vor halbvollen, und manchmal waren die Säle auch fast leer; aber
er hatte immer ein Lächeln auf den Lippen, war stets gut gelaunt (schließlich
ist Gitarrespielen sein Job) und ließ sich erst jetzt zum Schluss von den
Kasseneinnahmen beeinflussen.
Als ich mich gestern
zum schlafen hinlegte, war ich traurig.
Und doch fühlte ich
mich, zur gleichen Zeit, glücklich.
Traurig war ich, weil
es eigentlich die Kinder normalerweise sind die auswandern und nicht ihre
Eltern (aber leider hat sich hier in Portugal in den letzten Jahren das ganze
System gewandelt).
Glücklich war ich,
weil ich seinen Mut bewundere nochmals in einem Land das er kaum kennt (und wo
ihn kaum einer kennt) von vorne anfangen zu wollen, voller Neugier auf die vielen
neuen Dinge die ihn dort erwarten.
Dies alles sind
persönliche Dinge, die kaum einen interessieren, ausgenommen uns, die Familie
des Senhor Tordo.
Ob man seine Musik mag
oder nicht, Fakt ist, das mein Vater hierzulande mit den Jahren eine gewisse
Berühmtheit erlangt hat, und deshalb hat er über facebook, wo er regelmäßig
Kontakt zu seinen Freunden und Fans hat, seine Abreise hier aus Portugal angekündigt.
Die Kommentare auf
diese seine Ankündigung auf facebook, die ich eigentlich gar nicht lesen
wollte, sind der eigentliche Grund weshalb ich nun diesen Brief schreibe.
Viele haben sich mit
ermutigenden Worten von meinem (kommunistischen) Vater verabschiedet. Andere
wiederum haben ihn geraten nach Cuba zu ziehen. Oder nach Nordkorea. Wieder
andere meinten, er hätte schon längst auswandern sollen. Sie haben ihn auf das
Übelste beleidigt. Sie machen ihn für eine Politik verantwortlich, von der er
sich schon seit vielen Jahrzehnten distanziert hat (als er noch politisch aktiv
war, hat er lediglich auf seine bescheidene Art mit anderen Musikern, Autoren,
Filmemachern und Künstlern, für die Befreiung des Volkes (vom Faschismus) gekämpft).
Auf facebook fragen
sie ihn nun was er in Brasilien machen wird:
ob er zukünftig
Toiletten und Küchen sauber machen wird? Ob er nun vorhat seinen goldenen
Ruhestand zu genießen? Ob er sich nun ins gemachte Nest legen wird, dem ihm
seine (kommunistischen) Freunde bereitet haben. Einer bat ihn sogar, vielleicht
ironisch, „seine Rente dazulassen“, die schon erwähnten erbärmlichen 200 Euro.
Ich verstehe die
menschliche Wut. Ich habe sie immer verstanden; sie ist natürlich, erst recht
wenn wir leben so wie wir leben, wo wir leben und mit welchen Schwierigkeiten
wir leben. Was ich allerdings nicht verstehe ist der Hass. Mein Vater, der
sicherlich auch seine Fehler hat, so wie jeder von uns – und die Verfasser
dieser ganzen Hasstiraden haben sie sicherlich auch – hat lediglich das getan,
was er seiner Meinung hat tun müssen.
Ob es einem passt oder
nicht, mein Vater ist ein Teil der Musikgeschichte Portugals. Alleine oder mit
dem Liedertexter Ary dos Santos, schrieb er für einige der berühmtesten Stimmen
Portugals – Carminho, Carlos do Carmo, Mariza und noch viele andere mehr –
viele berühmte Titel der portugiesischen Volksmusik.
Egal was viele von
ihm als Menschen halten, nur wenige kennen seine Persönlichkeit wirklich.
Ich kenne ihn: er ist
ein sympathischer, humorvoller Typ, der mit sich im Reinen ist, und der gestern
einfach die Koffer gepackt hat, seine Gitarre genommen hat, und mit 65 Jahren,
weggegangen ist.
Früher oder später
werden alle die, die ihn nach Kuba oder Nordkorea schicken wollten, die ihm tatsächlich
empfohlen haben Toiletten oder Küchen saubermachen, alle die werden eines Tages
sehen das sie die eigentlichen Verlierer sind, weil sie nicht wie er den Mut
hatten zu gehen und in diesem Land geblieben sind: in diesem Land wo es nichts
mehr außer Reality Shows, Telenovelas und Scham gibt.
Unsere Regierung
behauptet jetzt andauernd die Krise wäre vorbei, vergisst aber gleichzeitig zu
erwähnen, was alles andere verloren gegangen ist.
Das erste was
verloren ging ist unsere Kultur, das Erbe unserer Nation.
Das zweite was verloren
ging ist das Glück, das in den Gesichtern der Menschen auf der Straße nicht
mehr zu finden ist – es gibt keine glücklichen Menschen mehr hier in Portugal.
Das dritte was wir
verloren haben ist die Hoffnung.
Und das vierte was
dieses Land verloren hat, sind die tausenden Menschen, wie meinen Vater, die
sich weigern weiterhin in einem Land zu leben das von Politikern regiert wird,
die alles daran setzen es zu Grunde zu richten – einem Land das er und tausende
Menschen wie er versucht haben aufzubauen: ein Land das einmal besser für ihre
Kinder und Enkelkinder sein sollte.
Sie sind Gescheitert;
sie haben wirklich gedacht sie könnten etwas ändern.
Aber vielleicht
wollen wir ja keine Änderung. Vielleicht wollen wir dieses Elend, lassen das
ganze zu, lassen es uns einfach gefallen.
Soweit ist es schon
gekommen, dass einige von ihrem gemütlichen Sofa aus einen beleidigen, nur weil
er hier keine Arbeit findet, – und weil er mit 65 nicht als Geist oder als
Bettler enden wollte – den Koffer und die Gitarre genommen hat und einfach
gegangen ist.
Als ich mich gestern
hingelegt habe, habe ich mir meinen Vater im Flugzeug vorgestellt, alleine, wie
er von der Zukunft geträumt hat; gut gelaunt, mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich werde ihn sehr
vermissen, ich gebe es zu.
Es tut mir weh zu
wissen, dass mein Vater mich gestern verlassen hat.
Hier der Originaltext
der Abschiedsbriefes den João Tordo über seinen Vater Fernando geschrieben hat:
Ontem, o meu pai
foi-se embora. Não vem e já volta; emigrou para o Recife e deixou este país,
onde nasceu e onde viveu durante 65 anos.
A sua reforma seria,
por cá, de duzentos e poucos euros, mais uma pequena reforma da Sociedade
Portuguesa de Autores que tem servido, durante os últimos anos, para pagar o
carro onde se deslocava por Lisboa e para os concertos que foi dando pelo país.
Nesses concertos teve salas cheias, meio cheias e, por vezes, quase vazias;
fê-lo sempre (era o seu trabalho) com um sorriso nos lábios e boa disposição,
ganhando à bilheteira.
Ontem, quando me
deitei, senti-me triste. E, ao mesmo tempo, senti-me feliz. Triste, porque o mais normal é que
os filhos emigrem e não os pais (mas talvez Portugal tenha sido capaz, nos últimos
anos, de conseguiu baralhar essa tendência). Feliz, porque admiro-lhe a coragem
de começar outra vez num país que quase desconhece (e onde quase o
desconhecem), partindo animado pelas coisas novas que irá encontrar.
Tudo isto são coisas
pessoais que não interessam a ninguém, excepto à família do senhor Tordo.
Acontece que o meu pai, quer se goste ou não da música que fez, foi uma figura
conhecida desde muito novo e, portanto, a sua partida, que ele se limitou a
anunciar no Facebook, onde mantinha contacto regular com os amigos e
admiradores, acabou por se tornar mediática. E é essa a razão pela qual escrevo: porque, quase sem o
querer, li alguns dos comentários à sua partida.
Muita gente se
despediu com palavras de encorajamento. Outros, contudo, mandaram-no para Cuba.
Ou para a Coreia do Norte. Ou disseram que já devia ter emigrado há muito. Que
só faz falta quem cá está. Chamam-lhe palavrões dos duros. Associam-no à
política, de que se dissociou activamente há décadas (enquanto lá esteve
contribuiu, à sua modesta maneira, com outros músicos, escritores, cineastas e
artistas, para a libertação de um povo). E perguntaram o que iria fazer: limpar
WC e cozinhas? Usufruir da reforma dourada? Agarrar um "tacho"
proporcionado pelos "amiguinhos"? Houve até um que, com ironia
insuspeita, lhe pediu que "deixasse cá a reforma". Os duzentos e tal
euros.
Eu entendo o desamor.
Sempre o entendi; é natural, ainda mais natural quando vivemos como vivemos e
onde vivemos e com as dificuldades por que passamos. O que eu não entendo é o
ódio. O meu pai, que é uma pessoa cheia de defeitos como todos nós – e como
todos os autores destes singelos insultos –, fez aquilo que lhe restava fazer.
Quer se queira, quer
não, ele faz parte da história da música em Portugal. Sozinho, ou com Ary dos
Santos, ou para algumas das vozes mais apreciadas do público de hoje –
Carminho, Carlos do Carmo, Mariza, são incontáveis –, fez alguns dos temas que
irão perdurar enquanto nos for permitido ouvir música.
Pouco importa quem é
o homem; isso fica reservado para a intimidade de quem o conhece. Eu conheço-o:
é um tipo simpático e cheio de humor, que está bem com a vida e que, ontem, partiu
com uma mala às costas e uma guitarra na mão, aos 65 anos, cansado deste país
onde, mais cedo do que tarde, aqueles que o mandam para Cuba, a Coreia do Norte
ou limpar WC e cozinhas encontrarão, finalmente, a terra prometida: um lugar
onde nada restará senão os reality
shows da televisão, as telenovelas e a vergonha.
Os nossos governantes
têm-se preparado para anunciar, contentíssimos, que a crise acabou,
esquecendo-se de dizer tudo o que acabou com ela. A primeira coisa foi a
cultura, que é o património de um país. A segunda foi a felicidade, que está
ausente dos rostos de quem anda na rua todos os dias. A terceira foi a
esperança. E a quarta foi o meu pai, e outros como ele, que se recusam a ser
governados por gente que fez tudo para dar cabo deste país – do país que ele, e
milhões de pessoas como ele, cheias de defeitos, quiseram construir: um país
melhor para os filhos e para os netos. Fracassaram nesse propósito;
enganaram-se ao pensarem que podíamos mudar.
Não queremos mudar.
Queremos esta miséria, admitimo-la, deixamos passar. E alguns de nós até aí
estão para insultar, do conforto dos seus sofás, quem, por não ter
trabalho aqui – e precisar de trabalhar para, aos 65 anos, não se transformar
num fantasma ou num pedinte –, pegou nas malas e numa guitarra e se foi embora.
Ontem, ao deitar-me,
imaginei-o dentro do avião, sozinho, a sonhar com o futuro; bem-disposto, com
um sorriso nos lábios. Eu vou ter muitas saudades dele, mas sou suspeito.
Dói-me saber que, ontem, o meu pai se foi embora.