Montag, 16. November 2015

Coretos – die kulturellen Mittelpunkte einer jeden portugiesischen Gemeinde






Meine lieben Freunde Anika und Christian aus Pforzheim, die diesen Herbst zum ersten Mal gemeinsam Lissabon, den Alentejo und die Algarve entdeckten, haben mich vor einpaar Tagen gefragt, warum in so vielen portugiesischen Dörfern und Städte Gartenpavillons stehen.
Nun, ich habe nicht lange überlegen müssen um zu wissen was sie mit den „Gartenpavillons“ meinten.

Die Bauwerke die Anika und Christian hier auf ihrer Reise durch das südliche Portugal entdeckt haben und die sie als Gartenpavillons bezeichnen, heißen auf portugiesisch „coretos“ (sing. coreto / plural coretos) und sind, obwohl man sie oftmals in Parkanlagen oder anderen Grünflächen vorfindet, doch eigentlich eher Musikpavillons als Gartenpavillons.

Es wird wohl in ganz Portugal mehr als Tausend dieser leichten und freistehenden Bauwerke geben – keiner hat sich jemals die Mühe gemacht diese urbanen architektonischen Schätze zu zählen.
Lediglich 44 von ihnen stehen heute unter Denkmalschutz!
Auf unzähligen Briefmarken und alten Postkarten verewigt stehen die meisten Coretos hierzulande in öffentlichen Parks oder auf zentralen Plätzen, wie z.B. dem Marktplatz oder vor der Dorfkirche.
Charakteristisch für einen Coreto ist das er immer überdacht, nach allen Seiten rundherum offen und im Grundriss entweder rund, vier-, sechs- oder achteckig ist.

Obwohl schon zu Zeiten der Römer – und später der Mauren – im früheren Portugal solche Pavillons anscheinend schon existierten und obwohl den Portugiesen durch ihre vielen Seereisen nach China und Japan die Architektur des Pavillons sehr wohl bekannt war, sind die Coretos, so wie wir sie heute kennen, erst in der Epoche des Barock in Portugal populär geworden.
In dieser Zeit, so Ende des 18. Jahrhunderts herum, fingen die Musikkapellen an, die bis dahin zumeist nur kirchenmusikalischen Stücke spielten, auch weltliche Aufführungen zu geben.
Um diese Auftritte vor Publikum aufzuführen, wurden dementsprechend – in einer Zeit in der es kein Radio, keine Schallplatte, kein Fernseher und kein Internet gab – die Coretos gebaut, damit eine breite Öffentlichkeit den Musikaufführungen lauschen konnte.

Kein Coreto aus dieser Zeit, die reine verschnörkelte und mit Ornamente verzierte und bemalte Kunstobjekte aus Holz waren und die eher an überdimensionale Spieldosen erinnerten, existiert heute noch.
Sie sind alle ein Opfer der „Moderne“ geworden und wurden aufgegeben, vandalisiert, dann abgerissen oder an einem anderen Ort neu aufgebaut.
Die Coretos, die im 19. Jahrhundert dann überall im Land aus Eisen errichtet wurden, wurden fast alle während des Ersten Weltkrieges demoliert und zu Kriegswerkzeug verarbeitet.

In Lissabon gibt es heutzutage in den verschiedenen Stadtteilen 22 Coretos und alle werden sie heute noch genutzt.
Der älteste steht im Zoologischen Garten und wurde um das Jahr 1830 errichtet.
Der Coreto der heute im Park Jardim da Estrela steht, ist um 1840 erbaut worden und stand ehemals auf dem „Passeio Publico“, der heutigen Avenida da Liberdade.

Auf dem Land bilden die Coretos weiterhin das kulturelle Zentrum einer jeden portugiesischen Gemeinde.
In allen Dörfern in denen diese Pavillons stehen, sind sie praktisch der Mittelpunkt eines jeden Volksfestes, eines jeden Freiluftkonzerts und einer jeden kirchlichen Walfahrt. Coretos sind hier, wie ehedem, die kleine aber besondere Bühne für die lokalen Musikkapellen, für Chöre, für Folkloregruppen, für Dichterlesungen und manchmal sogar für kleine politische Veranstaltungen.

Über viele Jahrzehnte vernachlässigt und dem Verfall preisgegeben, fangen in unserer Zeit Coretos wieder an das zu sein, was sie traditionell immer waren:
Orte der Musik, der Kultur, der Fröhlichkeit, des Feierns und des Beisammenseins.

1 Kommentar:

  1. Hallo,
    Ich würde gerne noch etwas zu den Coretos hinzufügen. In Custóias, auf den alten Platz der Feira, steht der obligatorische Coreto. Ich kann mich daran erinnern das in den 70er wenn die Feira (der Markttag) mit wichtigen Festen zusammen fiel (z.B. S. João oder dem örtlichen "padroeiro"), das da noch gespielt wurde. Die alte Feira wird heute als öffentlicher Park das zum verweilen einlädt. Naja, eines Tages, während eines Spazierganges, fiel mir auf das sich am unteren Rand des Coretos ein paar vergitterte Fenster befanden und das an der einen Seite, eine Treppe zu einer alten hölzernen Tür herunter führte. Danach habe ich darauf geachtet ob andere Coretos auch solche Fenster hatten. Tatsächlich habe in der Gegend von Braga, Guimarães und Aveiro noch ein paar entdeckt die auch über solche vergitterte Fenster verfügten. Eines Tages fiel mir ein mal meine "vovó" (Großmütterchen), die damals schon 82 war, zu fragen ob sie wusste was es damit auf sich hatte. Da erzählte sie mir das es da unten zwei räume gab, bzw. gibt. Einen Raum der dazu genutzt wurde um die Einnahmen aus den Lizenzgebühren und Registrierung der Feira zu lagern, bis diese zur "junta" (Gemeinde Verwaltung) gebracht werden konnten, der andere Raum war eine art Zelle wo erwischte Taschendiebe temporär untergebracht wurden. Vor allem wurde es als Ausnüchterungszelle benutzt.
    Ich fand das sehr interessant und wollte es mit euch teilen.

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