Freitag, 23. September 2011
Die Wandteppiche von Pastrana
In der National Gallery of Art in Washington hat Anfang dieser Woche die Ausstellung „The Invention of Glory – Afonso V and the Tapestrys from Pastrana“ (dt.: Die Erfindung des Glücks – Afonso V und die Wandteppiche von Pastrana / port.: A Invenção da Glória – Afonso V e as Tapeçarias de Pastrana) begonnen, in der die vier weltberühmten Wandteppiche von Pastrana (port.: Tapeçarias de Pastrana) gezeigt werden.
Genau ein Jahr nachdem sie auch hier in Lissabon, im Museu de Arte Antiga, zu sehen waren, werden diese Kunstschätze nun einem breiten amerikanischen Publikum vorgestellt.
Bei den Pastrana-Wandteppichen handelt es sich um vier überdimensionale Tapisserien, die zu den schönsten gotischen Gobelins der Welt gehören.
Sie wurden einst vom portugiesischen König Afonso V in Auftrag gegeben, um die Ereignisse an den Kriegsschauplätzen Arzila und Tanger, an denen Portugal Ende des 15. Jahrhunderts in Nordafrika erfolgreich beteiligt war, zu dokumentieren.
Da es damals den Beruf des Kriegsreporters und des Kriegsfotographen noch nicht gab, musste Afonso V die einzelnen Kriegsschauplätze und Kriegsgeschehnisse auf Wandteppichen, wie damals üblich, bildlich darstellen lassen.
Man kann ohne Zweifel behaupten, dass diese Wandteppiche die Kriegsphotographien der damaligen Zeit sind – ganz besondere Bilder für die Ewigkeit!
Er gab die vier Wandteppiche, die 11 m x 4 m groß sind, und aus feinster Wolle und Seide in einer hervorragenden technischen Qualität hergestellt worden sind, im Jahre 1471 in Auftrag.
Angefertigt wurden sie in den Werkstätten der Weberei Passchier Grenier, in der Stadt Tournai in Flandern, im heutigen Belgien, zwischen den Jahren 1471 und 1475.
Man vermutet, dass König Afonso V damals für jeden einzelnen Wandteppich den Gegenwert von drei portugiesischen Karavellen bezahlt hat!
Sie sollten einzig und allein die portugiesische Kriegspropaganda der damaligen Zeit klar darstellen, ohne gewalttätig oder gar blutig zu wirken.
König Afonso V wollte die Gobelins später in dem Bankettsaal seines Palastes aufhängen, und wer hätte dann schon gerne beim Essen blutige Schlachtszenen an den Wänden gesehen?
Der erste Wandteppich zeigt die Ankunft der Portugiesen in Arzila und trägt den Titel „Landung in Arzila“ (port.: „Desembarque em Arzila“).
Zu sehen ist, wie der König und seine Truppen bei stürmischer See das marokkanische Festland betreten, und sich in Richtung der Festung Arzila begeben.
Im zweiten Wandteppich, der den Titel „Belagerung von Arzila“ (port.: „Cerco de Arzila“) trägt, wirkt die Stadt fast friedlich, mit ihren roten Dächern und weißen Minaretten. Man kann genau sehen, wie auf der linken Seite des Gobelins der König wartend dargestellt wird, während sich auf der rechten Seite die belagerten Bürger der Stadt hinter den dicken Mauern verstecken.
Der dritte Wandteppich zeigt schließlich verschiedene heroische Schlachtszenen und trägt den Namen „Eroberung von Arzila“ (port.: „Tomada de Arzila“).
Bei der Schlacht um Arzila kamen damals schätzungsweise 2.000 Marokkaner um und an die 5.000 von ihnen wurden gefangen genommen.
Auf dem vierten und letzten Wandteppich, der den Namen „Einzug in Tanger“ (port.: „Entrada em Tanger“) trägt, wird die Einnahme von Tanger dargestellt.
Deutlich ist auf diesem Wandteppich, der für mich persönlich der schönste von allen vieren ist, zu sehen, wie von der linken Seite die portugiesischen Truppen die Stadt einnehmen, die in der Mitte des Bildes dargestellt wird, und wie auf der rechten Seite des Wandteppiches die Marokkaner vor den Truppen Portugals flüchten.
Wie die vier Wandteppiche dann ihren Weg von Portugal nach Spanien gefunden haben, ist bis heute ein Rätsel.
Man vermutet entweder, dass sie nach der Schlacht von Toro, bei dem Portugal als Verlierer hervorging, als Kriegsbeute nach Spanien kamen oder aber das sie ein persönliches Geschenk Königs Afonso V an den spanischen Kardinal Mendoza sind, der ihm diese, als Geste der Dankbarkeit für dessen Haltung zu Gunsten der portugiesischen Gefangenen die bei besagter Schlacht festgenommen wurden, schenkte.
Fakt ist, das die Tapisserien nach dem Tod von König Felipe II von Spanien, bei einer öffentlichen Versteigerung eines Teils seines persönlichen Nachlasses, von der Familie des Kardinals Mendoza käuflich erworben wurden.
Im Jahre 1664 vermachte die Familie Mendoza die Wandteppiche der Stiftskirche von Pastrana, in Zentralspanien, in dessen Besitz sie bis heute sind.
Dann gerieten sie über Jahrhunderte hinweg in Vergessenheit.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurden sie von Motten zerfressen, stark verschmutzt und beschädigt, an manchen Stellen sogar mit Löchern von bis zu 20 cm Durchmesser, auf dem Dachboden der Stiftskirche wiederentdeckt.
1930 versuchte der portugiesische Diktator Salazar sie wieder nach Portugal zurückzubringen, doch sein diktatorischer Amtskollege Franco erlaubte ihm lediglich Kopien der vier Wandteppiche zu machen.
Diese Kopien hängen heute im Palast der Herzöge von Bragança (port.: Paço dos Duques de Bragança), in Guimarães.
Im Jahre 2009 wurden die Teppiche, mit der finanziellen Unterstützung der spanischen Stiftung Carlos de Amberes und der Regionalregierung von Kastilien-La Mancha, einem intensiven Restaurierungsprozess in der Teppichmanufaktur Real de Wit in Belgien unterzogen.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, welche Herausforderung an die Konzentration die vier Wandteppiche darstellen, denn ein Gesamtbild lässt sich nur schwer erfassen.
Der Teufel liegt bei jedem Teppich im Detail.
Jeder von ihnen ist eine Ansammlung von menschlichen Gestalten, Lanzen, Waffen, Fahnen, Pferden und Schiffen – alles ohne erkennbares Zentrum.
Wahrlich ein Augenschmaus!
Nach Washington, wo die vier Tapisserien bis kommenden Januar zu sehen sein werden, reisen sie nach Dallas, San Diego und Indianapolis weiter.
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