Sonntag, 13. April 2014

Mafra – die größte Votivgabe der Welt


Zwei Wege führen in das 45 km nordwestlich von Lissabon gelegene Städtchen Mafra.
Der eine verläuft über Sintra nach Norden, der andere führt weiter östlich über Loures. Wählt man die über Loures führende Straße, so sieht man gleich hinter der Stadtgrenze von Lissabon Odivelas liegen – eine zu schnell gewachsene Satellitenstadt die einmal für ihr Zisterzienserinnen-Kloster, den Mosteiro de São Dinis e de São Bernardo, berühmt war, das König Dinis, dessen schwerer gotischer Steinsarkophag in der Apsis steht, um 1300 von dem Baumeistergeschwisterpaar Antão und Afonso Martins errichten ließ.

Unter einem späteren Nachfolger von König Dinis auf dem portugiesischen Thron, König João V, war Odivelas und sein Kloster vor allem für köstliches Gebäck aus der Klosterbäckerei bekannt. Aber es gab einen anderen, viel triftigeren Grund warum Odivelas bei João V so beliebt war. Der Monarch hatte mit mehreren Nonnen des Klosters lustvolle Verhältnisse.
Mit einer dieser Nonnen, Madre Paula Teresa, hatte er sogar eine längerdauernde Beziehung. Diese amouröse Beziehung zu Madre Paula führte dazu, dass diese dem König drei Söhne schenkte. Einer dieser Söhne, Gaspar, wurde später einmal Erzbischof von Braga und ein anderer, José, sogar Großinquisitor des Landes.
Das Erdbeben von 1755 ließ von dem alten Kloster kaum etwas übrig, und so wurde er im alten Stil wieder aufgebaut.

Dafür glänzt, nur 30 km nordwestlich von Odivelas, ein anderes Kloster in einem unscheinbaren Städtchen: der gigantische Klosterpalast von Mafra (port.: Convento e Palácio de Mafra), der Kloster, Kirche und Palast in einem ist.
Nur ein prunkliebender Barockfürst wie König João V konnte sich diese imposante Anlage ausdenken, die als Konkurrenzunternehmen zum spanischen El Escorial von Philipp II erbaut wurde und gleichzeitig ein steinernes Gelübde zum Dank für die Geburt des Thronfolgers von João V ist.
Sicherlich, königliche Gelübde schlugen in Portugal schon mal öfters in prächtige Kirchenbauten zu Buche.
Manuel I mit seinem Mosteiro dos Jerónimos (dt.: Hieronymuskloster) in Belém, den er zum Dank für die Entdeckung des Seeweges nach Indien durch Vasco da Gama einst bauen ließ, war das große Vorbild.
Es war nun einmal in Portugal Gang und Gäbe, dass die Monarchen ihren privaten Handel mit Gott machten, und Votivgaben als Versprechungen leisteten.

Und so gelobten König João V und seine Gemahlin Königin Maria Anna von Österreich ein Kloster zu Ehren des in Portugal sehr beliebten Heiligen Antonius (port.: Santo António) zu bauen, wenn ihnen endlich ein Thronfolger geboren würde.
João V und Maria Anna hatten im Oktober 1708 geheiratet und erst 1711 wurde ihnen ein Kind geboren – allerdings ein Mädchen.
Erst 1714 wurde dem Paar endlich der ersehnte Thronfolger Infante José geboren und so wurde, wie versprochen, Mafra gebaut!

Die ehrgeizige Anlage für 300 Franziskanermönche und 150 Novizen stellte seinerzeit ein Großprojekt dar, dem das Land zu Beginn des 18. Jahrhunderts kaum finanziell gewachsen war und der das Königreich damals fast in den Staatsbankrott geführt hätte.
Nur die plötzlich aufkommenden riesigen Goldfunde in Brasilien konnten letztendlich das Projekt wahr machen.

Zahlreiche Ausländer mussten für die Vollendung des Bauwerks ins Land geholt werden.
Der Entwurf stammt z.B. von dem Deutschen Johann Friedrich Ludwig, den man hier in Portugal eher unter dem Namen João Frederico Ludovice kennt. In Portugal, wo er sich seit etwa dem Jahr 1700 aufhielt, wurde er von Königin Maria Anna, einer Habsburgerin, protegiert.
Für die Bildhauerwerkstatt rief man den Italiener Alessandro Giusti ins Land – die besten Skulpturen aus Carraramarmor aber bestellte der König gleich direkt in Rom und Florenz.

Am 17. November 1717 wurde der Grundstein für das Kloster gelegt. Um den Bau zu beschleunigen, wurden 45.000 arbeitsfähige Männer aus dem ganzen Land zum Dienst gezwungen. Sie mussten Tag und Nacht, praktisch unentgeltlich, arbeiten um den Traum des Königs zu verwirklichen. Deshalb wurden 7.000 Soldaten an die Baustelle abkommandiert um Aufpasser und Antreiber spielen.
Offiziellen Berichten zufolge sollen angeblich „nur“ 1.400 Männer bei den Bauarbeiten gestorben sein, obwohl andere Quellen von über 3.000 Toten Arbeitern während der Bauphase sprechen.
Die Kirche konnte bereits am 22. Oktober 1730, dem 41. Geburtstag von König João V, eingeweiht werden. Die Arbeiten an der Gesamtanlage zogen sich jedoch noch bis 1750 hin.

Angesichts der Ausdehnung und Maße des fertigen, fast quadratischen Komplexes stellt sich beim heutigen Betrachter fast ein leichtes Schwindelgefühl ein:
Der Klosterpalast von Mafra besitzt eine 220 m lange Fassade, eine unglaubliche Fläche von 40.000 m², 4.500 Fenster und Türen, 9 Innenhöfe und 1.200 Zimmer und Sälen deren Besichtigung in der Mehrzahl leider nicht möglich ist, da ein großer Teil des Convento heute als Militärkaserne dient.
Die Vorderfront ist rechts und links von riesigen Eckpavillons eingerahmt und wird von der zentralen Kirchenfassade mit ihren zwei Türmen sowie von einer Vierungskuppel beherrscht. Die mit Marmor ausgestattete Kirche wirkt Dank ihrer klaren Linien harmonisch, aber kühl.
Marmor ist zweifelsohne Mafras Baustein.

Sehenswert ist auch die von Manuel Caetano de Sousa entworfene Bibliothek mit ihren 36.000 Bänden.
Die Kulisse dieser Bibliothek ist einfach nur edel.
Sie ist ganz aus rosafarbenem Marmor und exotischen Hölzern aus den königlichen Kolonien. Eine doppelstöckige, 88 m lange Galerie mit Schränken voller wertvoller Bücher, von denen viele Erstausgaben sind machen sie zu einer der schönsten Bibliotheken Europas.
Zu den Kostbarkeiten der Bibliothek zählen die älteste Homerausgabe in Griechisch, mehrere Bibel aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die Stücke von Gil Vicente, des ersten Dramaturgen Portugals, aus der Zeit Manuel I, und vor allem die Erstausgabe der weltberühmten „Os Lusíadas“ von Luis Vaz de Camões.
Bedauerlich, dass man hier nicht sitzen und blättern kann, denn die Bibliothek ist heute nur fürs Auge gedacht. Wahrscheinlich saß auch nie ein Bragança-König hier, um in seinen Schätzen zu schmökern.
Einfach nur schade!

An die Bibliothek grenzt der Botanische Garten des Klosterpalastes und an diesen schließt sich das 819 Hektar große ummauerte Waldgebiet Tapada de Mafra an. Dieses Waldgebiet, in dem es auch heute noch Wildschweine, Rot- und Damhirsche und noch anderes Jagdwild gibt, war einmal das königliche Jagdrevier und wurde von allen Monarchen rege für ihre Jagdgesellschaften benutzt.

Mafra spielt eine wichtige und positive Rolle in der portugiesischen Kunstgeschichte. Eine ganze Generation portugiesischer Handwerker und Künstler wurden in der so genannten „Schule von Mafra“ geschult und geprägt. Zu ihnen zählen, um nur zwei von vielen zu erwähnen, der Bildhauer Joaquim Machado de Castro und der Architekt des Königpalastes von Queluz Mateus Vicente de Oliveira.
Als im Jahre 1807 die französischen Truppen Napoleons Portugal überfielen und die Bragança nach Brasilien flohen, waren die Tage von Mafra als ständiger Wohnpalast gezählt.
Als König João VI 1822 wieder nach Portugal zurückkehrte, weigerte er sich den Palast wieder regelmäßig zu bewohnen. Er zog die Paläste von Queluz und Sintra vor; sie waren ihm weniger kalt und protzig.
Das Kloster wurde im Jahre 1834 von den Mönchen aufgegeben.
Dafür kamen 1840 die Militärs und blieben dort bis heute.
In einem Teil des riesigen Komplexes des Klosterpalastes ist heute ein Infanterieregiment untergebracht.

So protzig und museal die königlichen Räume der Bragança auch waren, so spartanisch und genügsam waren die Zellen der Mönche die hier Tür an Tür mit dem König und seinem Gefolge lebten. Wie einfach die Mönche damals im Kloster leben mussten, so ganz ohne Komfort, kann jeder heute bei einem Besuch des Klosterkomplexes mit eigenen Augen sehen.
Erst wenn man die Mönchszellen besucht hat, wird einem das Abgründige in König Joãos einst gegebenes Gelübde deutlich:
Er baute den Mönchen eine armselige Bleibe mit Totenschädeln an den Zellwänden, während er sich selbst und den Seinen einen feudalen Palast errichten ließ, der trotz aller Grenzenlosigkeit einfach nicht wohnlich genug war.
Und selbst der letzte Monarch Portugals, König Manuel II, hat einmal gesagt, dass er mit Mafra nur melancholische und schmerzhafte Erinnerungen verbinden würde.
Wer will es ihm verdenken!
Hier in diesem riesigen Palast verbrachte er seine letzte Nacht in Portugal, bevor er mit seiner Mutter und Großmutter am 05. Oktober 1908 vom nahen Strand in Ericeira nach England ins Exil fliehen musste.

Aus Mafra muss man heute aber nicht mehr fliehen.
Im Gegenteil, heute sollte man sich auf alle Fälle die Zeit nehmen und diesen Abstecher in das Lissabonner Umland, nach Mafra, unbedingt gönnen, wenn man einpaar Tage Urlaub in Lissabon plant.
Es lohnt sich alle mal!

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